Ähnlich wie in England gilt auch in Ostdeutschland die Textilindustrie als der Hauptkeim für eine beginnende Industrialisierung. Gleich mehrere weitere Industriezweige haben sich aus der Textilbranche heraus entwickelt und machen diesen Zweig der deutschen Industrie zum ältesten im kompletten Industrialisierungsprozess.
Warum die erste früh aufkommende Textilindustrie sich gerade in die Regionen des Vogtlandes, Erzgebirges und der Oberlausitz ansiedelt, dafür gibt es verschiedenste Gründe. Nach Ende des Bergbaues um 1650 ist ein Produktionswechsel in den vielen Dorfgemeinden von Nöten. Es kommt so zu einem starken Wachstum der Hausarbeit im Bereich der Textilienherstellung. Erste Webstühle und kleinere Handmaschinen begünstigen einen Entwicklungsprozess, der gerade die Wirkerei und Weberei stark beeinflusst. Durch die Zunftordnungen im Handwerk entstehen damit regelrechte Produktionsgebiete, welche sich auf die Herstellung von bestimmten Textilartikeln spezialisieren und ihre Waren über Verleger in den Handelsstädten wie Leipzig vertreiben. Mit der Einführung der ersten mechanischen Maschinen aus England entwickelt sich ein niedriges Lohnniveau und die starken Gebirgsflüsse, Kraftindikator der anfänglichen Energieerzeugung, werden zum Antrieb für erste Ansiedlungen von Fabriken in den Tälern des Erzgebirges. Besonders das Spinnereiwesen bildet den ersten Grundstein für die wachsende Entwicklung. Es ist damit die Garnherstellung, welche den industriellen Anfang macht, ehe ab 1850 die Garnverarbeitung die selbige Richtung in die Fabrikproduktion einschlägt. In dieser Zeit ist die Dampfmaschine bereits schon auf ihrem Vormarsch und die Fabriken werden vom Standort unabhängiger, so wachsen sie aus den Dörfern der Gebirge in die naheliegenden Großstädte hinein. Gleichzeitig gewinnt auch die Textilindustrie in der Lausitz an Bedeutung, durch die Nutzung der ansässigen Braunkohle in Kombination mit der Dampfmaschine können auch hier erste Maschinen aufgestellt werden und das Handgewerbe abgelöst werden.
Die Fabriken werden immer größer, die Maschinen immer besser und die Arbeitskräfte immer knapper. Ein entscheidender Faktor für die Gründung der ersten textilorientieren Fachschulen in den größeren Städten wie Chemnitz, Reichenbach oder Thalheim/E. Mit dem enormen Wachstum der Industrie kommt es zudem parallel zur Bildung mächtiger Familiendynastien, gerade die Region zwischen Chemnitz und Zwickau bringt fast monarchische Ordnungen unter den Textilfabrikanten hervor. Die Vernetzung der Industriegebiete durch die Eisenbahn in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt der gesamten Entwicklung nochmals den letzten entscheidenen Schub nach vorne. Der Nährboden für die Textilproduktion ist damit ideal, der Rohstoff kommt per Eisenbahn aus Amerika, die Maschinen aus Chemnitz, die Fachkräfte aus der Region und die Handelsstädte Leipzig und Chemnitz bilden das Drehkreuz für die fertigen Waren in die Welt hinaus. So sehr diese Leichtindunstrie auch immer von anderen belächelt wird, so zeigt sie besonders in Sachsen und der Lausitz, welche Macht und wirtschaftlichen Einfluss in ihr liegt.
Doch es sind zwei Weltkriege im Laufe der Zeit, welche viele Unternehmen an die Grenzen ihrer Existenz bringen. Während der Kriegsjahre im ersten und zweiten Weltkrieg werden Textilien nicht so sehr gefragt und nur die wenigstens haben das Privileg für das Militär zu produzieren. Ein Großteil der Unternehmen wird leer geräumt und zur Waffenproduktion umstrukturiert.
Doch noch wesentlich schlimmer als zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise 1929 trifft die unzähligen Textilunternehmen die Nachkriegszeit nach 1945. In der Sowjetischen Besatzungszone bildet sich ein neues politisches System heraus und setzt eine komplett neue Wirtschaftsordnung durch. Die Fabrikanten werden nun in der neuen Gesellschaft als Verbrecher der Vergangenheit eingestuft und bekommen dies durch neue Gesetzeseinführungen direkt zu spüren. Dabei reicht die neue Hand der politischen Macht von Enteignungen, Arbeitslagern, bis hin zu willkürlichen Hinrichtungen. Von Angst getrieben kehren so sehr viele traditionsreiche Textilunternehmen ihrer alten Heimat den Rücken zu und beginnen im westlichen Deutschland mit dem Aufbau einer neuen Ära. Zurück bleiben unzählige Textilfabriken mit leeren Musterschränken und Archiven, welche nun verstaatlicht und in Volkseigentum überführt werden. Die neue Planwirtschaft setzt ab 1949 so langsam ihre Wurzeln an und fertigungsgleiche Unternehmen werden zu größeren Betrieben zusammengelegt. Die alten klanghaften Namen der Fabriken verschwinden damit endgültig von den Fabrikfronten, um dem neuen VEB-Logo Platz zu machen.
1972 werden die letzten privaten Textilfabriken von der DDR-Regierung enteignet und als Betriebsteile an größere Betriebe angegliedert. Die Bildung der Kombinate ist Mitte der 70er Jahre der letzte große Schritt zur Vereinheitlichung der kompletten ostdeutschen Textilindustrie.
Die Textilindustrie in der DDR gilt dabei zwar als die Größte ihrer Art auf dem Gebiet der Ostblock-Staaten, dennoch ist sie geprägt durch uneffiziente Fertigungsabläufe und veraltete Maschinentechnik. Modetechnisch versuchen die Kombinate immer auf Höhe der Zeit der westlichen Welt zu bleiben, doch schnell gelangen sie, gerade auch aufgrund der Zentralisierung in den Verwaltungsebenen, an ihre Grenzen. Nötige Textilmaschinen auf Weltniveau werden zwar direkt vor der Haustür produziert, dennoch gelangt erst viel zu spät moderne Technik in die Textilfabriken. Der Export und das Devisengeschäft wiegt den Verantwortlichen schwerer als die Versorgung der heimischen Industrie. Sehr oft sind es noch Maschinen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, welche bis in das Jahr 1990 in den Fabriken ihren Dienst vollrichten.
Während in ostdeutschen Geschäften diverse Textilien aus der eigenen Fertigung eher Mangelwaren sind, gelangt ein Großteil der Produktion der vielen Betriebe
von Plauen bis Forst über die innerdeutsche Grenze in die westlichen Modekataloge. Die Qualität war trotz der Technik auf hohem Niveau und das Billiglohnland DDR wird zu einem wichtigen
Versorger für Ost und West.
Doch so hat auch jede Ära ein Ende und die politische Wende und das Ende der Planwirtschaft treffen die Textilindustrie noch extremer als andere Industrien. Die Absatzmärkte in Osteuropa brechen über Nacht weg, staatliche Unterstützungen fallen aus und der große Konkurrent aus Asien kann nun ungehindert den Weltmarkt für sich erobern. Die Produktion in Ostdeutschland wird lohntechnisch zu teuer und ineffizient. Es beginnt ein bis heute beispielloses Fabrikensterben in vielen Gemeinden und Städten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Durch Misswirtschaft der Treuhand-Anstalt werden die Überreste häufig durch Kriminelle ausgeschlachtet, nicht selten werden neue subventionierte Maschinen direkt wieder ausgebaut und nach Indien oder China verkauft.
So ist es nur ein kleiner Teil an Unternehmen, welcher diese wilden Nachwendejahre überlebt und sich am Markt durch Qualitätsware behauptet. Es sind vorwiegend technisch komplizierte Prozesse und Forschungen, speziell im Bereich der technischen Textilien, welche sich weiterhin gegen die asiatische Konkurrenz behaupten können, bei ihnen zählt noch das Know-How "made in Germany". Die Textilindustrie ist damit von einem Großversorger zu einem Exklusivhersteller geworden, die Ära der übergroßen hellerleuchteten Fabriken ist vorbei, doch in einigen weniger rattern bis heute noch die Maschinen.
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