Ernst-Seifert Haus
Anhand der Architektur des Ernst-Seifert-Haus, dem Kopfbau der ehemaligen Weberei Ernst Seifert GmbH, lässt sich auch sehr gut der Bauablauf an der heutigen
Otto-Schimmel-Straße erkennen. Als eines der letzten Bauwerke im späteren Gesamtkomplex "Palla" erreicht dieser Verwaltungsbau den gestalterischen Höhepunkt in Ausdruck und Proportion. Architekt
war der in Glauchau sehr berühmte Reinhold Ulrich, welcher viele weitere stadtbildprägende Bauwerke in den ersten Jahrzehnten des 20.Jahrhundert zeichnete. Durch die Tatsache, dass der Kopfbau
der benachbarten Weberei Boeßneck & Meyer vor dem Baubeginn schon fertiggestellt war, zeigt auf, dass es für Fabrikant Ernst Seifert nahe lag, dass er keinen anderen als Ulrich für die
Gestaltung seiner Weberei heranzog, um architektonisch auf der Straßenzeile ein Ausrufezeichen zu setzen. Es entstand zurecht ein Palast der Industrie.
Bautechnisch wurde der neue Kopfbau in der Konstruktion der Zeit umgesetzt. Ein Eisenbetonskelett erstreckt sich über alle Etagen und ermöglichst neben hohen Decken auch größerer Säulenabstände. Leichte Innenwände bilden die Innenraumaufteilung, eine Ziegelausfachung mit vorgeblendeter Natursteinfassade den Außenabschluss. Eingangstreppe hat dabei nur repräsentative Zwecke und führt nur ins 1.OG. Die rückseitig angesetzten Treppenhäuser bilden die Haupterschließungs- und Rettungswege. Über das 1.OG erfolgt der Zugang zum Mitteltrakt mit der "Rennbahn".
Ulrich wählt für die repräsentative Außengestaltung die klaren Züge des Neoklassizismus. Ein sehr monumentaler Stil, aber auch von großer Detailtiefe geprägt. Anzumerken ist, dass diese Architekturgattung in den späten 1920er Jahren ihren Zenit eigentlich bereits überschritten hatte und in der Industriearchitektur in Sachsen bereits sehr verbreitet die Auswirkungen des Bauhaus und Expressionismus als "zeitgemäß" angesehen wurde. Dennoch fügt sich dieser Stil sehr gut in die sehr traditionsreiche Textilstadt Glauchau, wo ansässige Unternehmen bereits global agierten und somit ihren Einfluss auch in den Formen der Fabriken darlegten. Bei der Firma Seifert spiegelt sich hier eine Ausnahme wieder, erst 6 Jahre zuvor hat Ernst Seifert die Weberei gegründet, das Bauwerk kann damit auch als gestalterische Provokation angesehen werden. Die gestalterischen Proportionen und Schnittachsen zeigen aber auch, dass der ausgeführte Bau wohl nicht der finale Endentwurf war. Der zentrale Baukörper mit dem mittig angeordneten Haupteingang bildet wiederum eine Asymmetrie im Gesamtbauwerk durch den links angeordneten Anbau. Womöglich war für einen gespiegelten Anbau der Platz zur bestanden Villa zu gering, wurde aber zur Werkserweiterung weiterhin vorgehalten. Ein Konzept, welchen bei den Eisenskelettbauwerken jener Jahre sehr gerne umgesetzt wurde. Neben dieser horizontale Gliederung betont Ulrich besonders die vertikale Gliederung durch verschiedenste Stilmittel. Der zentrale Hauptbau ist geprägt von einem Mittelteil mit Rustika im Sockelgeschoss, welcher von zwei vorspringenden Risaliten mit Dreiecksgiebel eingespannt wird. Mittig liegt der Haupteingang der Weberei mit zwei Kannelüren geprägte Pilaster, auf welchen eine Verdachung ruht. Blickpunkt ist die Plastik auf der Verdachung, sie zeigt den Gott Merkur auf der Weltkugel, umgeben mit Elementen des Handels wie Schiff, Lokomotiven und Webwaren. Die Plastik sitzt vor einem Fenster mit Korbbogen, welches bei Dunkelheit als Hintergrundbeleuchtung diente. Den Schlußstein bildet eine aufgesetzte Spinne, das Symboltier der Weberei und Spinnerei. Die Versinnbildlichung des Schlusssteines setzt sich an den weiteren Fenstern des Sockelgeschoß fort. Zu sehen sind der Farmer, der Seemann, der Schäfer, der Hausweber, der Fabrikant und zum Schluss der Kaufmann. Alles Figuren, welche für die Fertigung feinster Tuche vom Rohstoff bis zum Endprodukt notwendig sind. Die Korbbogenfenster sind durch eine feine Sprossenteilung akzentuiert. Das Sockelgeschoss wird durch ein Gesims abgeschlossen. Auf ihm ruhen die sechs korinthische Halbsäulen, welche sich über das erste und zweite Obergeschoss erstrecken. Über den zurückgesetzten dreiteiligen Fenstern nimmt nehmen fünf Dreickecksverdachungen und zwei Halbrundverdachungen die Stilistik des Sockelgeschoss wieder auf. Sie zeigen als aufgesetzte Plastiken die Baumwollpflanze, den Flachs, den Bienenkorb und den Handelsstab als erneute Verbildlichung der Weberei. Den Höhenabschluss an der Traufkante bildet ein Zahnschnitt, typisches Stilmittel des Neoklassizismus. Die vorgesetzten Risalite an den Seiten nehmen in etwa die Proportionen des Mittelbau auf, wobei der Dreiecksgiebel die Traufe überragt und Pilaster sie zur Seite abschließen. Die Fenster im Erdgeschoss nehmen die Korbbögen auf, sind dabei aber schmaler gestaltet und durch eine Einfassung im Sockel gegründen. Die überliegenden Fenster des 1.OG und 2.OG erstrecken sich über zwei Stockwerke und orientieren sich an der Dreiteilung im Mittelbau. Das Risalitmotiv wiederholt sich als Abschluss des Bauwerkes zum Mitteltrakt.
Über das Eingangsportal mit halben Treppenlauf und Anmeldung geht es in das Entrée der Weberei. Eine zweiläufige Holztreppe mit Podest führt in das 1.OG. Zur rechten Seite krönt ein expressionistischer Brunnen die Eingangshalle, daneben eine Bedienstetentür, welche in den hinteren Bereich des Erdgeschosses führt. Eine größere Halle mit markanten Stichbogenfenstern zum ehemaligen Hof dominiert diesen hinteren Bereich, vermutlich der frühere Kontorbereich. Zu beiden Seiten gelangt man zu den rückliegenden Treppenaufgängen. Über die Eingangstreppe gelangt man in die repräsentative Verwaltungsebene des Gebäudes. Markant über der Eingangshalle ist eine Vierzehneckleuchte in einer Stuckrosette zentriert, welche die expressionistische Form des Brunnen aus dem EG wieder aufnimmt. In der Diagonalen zum Eingang an der Hofseite befindet sich die frühere Warenschau der Weberei Seifert, große Fenster bringen viel Licht in diesen Raum. Desweiteren befindet sich zur linken Seite die Sekretärinnenzimmer sowie ein vermutlicher Besprechungsraum mit markanten Stuckblende im Stil des Art Deco. Zur rechten Seite, der Giebelseite, ist das frühere Büro des Webereidirektor Ernst Seifert auf der Straßenseite angeordnet. Sehr auffällig mit starker Hohlkehle als Deckenabschluss und angepassten Wandschrank mit Waschgelegenheit. Vorgesetzt das Zimmer der Sekretärin. Die weiteren Zimmer sind in einer Bürostruktur gegliedert. Die kaum noch vorhandenen Einbauten lassen aber keine stilistische Einordnung zu. Gäste und Kunden hatten damit nur auf dieser Ebene den Zutritt. Der starke repräsentative Charakter der Außenarchitektur findet hier seinen gekonnten Abschluss. Das 2.OG ist dagegen geprägt durch eine strikte Büroaufteilung. Ein zentraler Mittelgang liegt zwischen den beiden Treppenaufgängen. Zu DDR-Zeiten wurden hier leichte Glastrennwände zur Raumteilung eingefügt. Die Zierde aus den unteren Etagen ist verschwunden. Vorwiegend waren hier wohl die Abteilungen Wareneinkauf sowie Personalwesen untergebracht. Das Geschoss bildet dabei die Traufkante als Abschluss. Das Walmdach, als letztes Stockwerk über die Treppenaufgänge zu erreichen, ist als Kaltdach ausgeführt, hat aber später eine leichte Dämmung zur Nutzung als Lager sowie weitere kleinere Büroflächen erhalten, nicht zuletzt muss sich hier auch das Betriebsarchiv befunden haben. Die originalen Fotoaufnahmen weisen dabei auf große Dachfenster in diesem Geschoss hin. Über den Mitteltrakt gelangt man schließlich in den Spitzboden sowie in den Dachreiter.
Zwischenbau / "Rennbahn"
Der Zwischenbau ist der bauliche Zusammenschluss der Weberei Ernst Seifert sowie Boeßneck & Meyer. Bauhistorisch war es das letzte Gebäude, welches die Gebäudezeile komplettierte. Es bildete einst den Abschluss der dahinterliegenden Shedhallen zur Otto-Schimmel-Straße hin. Die Stilistik zeigt deutlich, dass der Hauptnutzer vorwiegend bei der Weberei Boeßneck & Meyer lag. Die Erschließung erfolgte von beiden Stirnseiten über das 1.OG, ein separates Treppenhaus ist aber hier nicht vorhanden. Das EG war in seinem Nutzen klar der dahinter liegenden Produktionshalle zugeordnet. In diesem Teil des Kopfbaues fanden vorwiegend Sozialräume für die Produktion ihren Platz, das beinhaltet Meisterbüro, Lager, Pausenräume und auch Umkleiden. Das 1.OG dagegen wurde als Büroetage zur Ergänzung des Verwaltungsbau genutzt. Über einen langen Gang an der Rückseite, auch "Rennbahn" genannt, erschließen sich einzelne kleine Büroräume. Die kleinen Dachkammern hatten als Lager nur einen geringen Nutzen.
In der Schaufassade zur Otto-Schimmel-Straße nimmt der langgestreckte Bau die Stilmittel und Proportionen des Boeßneck-Meyer-Haus auf. Der zweistöckige Hauptbau mit hohen Sockelgeschoß wird in regelmäßigen Abständen von drei risalitartigen Vorsprüngen gegliederte, welche durch eine erhöhte Traufkante das Bauwerk in der Vertikalen strecken. Auf dem hohen Sockelgeschoß ruht die zurückgesetzte Fassade, welche durch regelmäßige Lisenen die nötige auflockernde Struktur erhält. Kurz vor der Traufe zieht sich ein durchgehendes Gesims, auch als Abschluss der Lisenen, über die gesamte Länge des Bauwerkes. Die Fenster mit der klassizistischen Sprossenteilung sind angelehnt an das Boeßneck-Meyer-Haus. Die Giebel der vorspringenden Risalite nehmen die neobarocke Form einer aufsteigenden Freiform auf und bilden damit eine gestalterische Einheit mit dem Hauptgiebel an der Gebäudeecke zum Scherbergplatz hin. Das krönende Detail bilden an zwei der drei Risalite runde Stuckornamente an den vorstehenden Pilaster. Drei Webschützen bilden ein gleichseitiges Dreieck und erzählen als einziges Elemente an der Weberei Boeßneck & Meyer vom Nutzen des Bauwerkes.
Boeßneck-Meyer-Haus
Die Weberei Boeßneck & Meyer war die erste mechanische Fabrik, welche sich in der bahnhofsnahen Lage ansiedeln konnte. Dazu war zuvor die infrastrukturelle Erschließung des Scherberges notwendig gewesen. Entscheidend war dazu unter anderem der Aufbau des neuen Elektrizitätswerkes der Stadt Glauchau am Schlachthof, welches die Versorgungsgrundlage für den Ausbau des Scherberg zum Industrieareal bildete. Erst im Jahr 1923 wurde dazu die heutige Otto-Schimmel-Straße als markante Magistrale zwischen Innenstadt und Bahnhof erbaut, etwa in selbiger Zeit mündet auch der Bau der Wohnhauszeile auf der Hangseite sowie die erste Platzgestaltung des Scherbergplatzes oberhalb des Bahnhofes. Die Innenstadtseite des Platztes wurde dabei 1926/27 mit den Errichtung des Hotel Glauchauer Hof und der Weberei Boeßneck & Meyer geschlossen. Um sich in die Weberei in diese Platzstruktur einzugliedern wählte Architekt Adolf Krebs eine Ecklösung mit Betonung der dem Platz zugewandten Seite. Ein architektonischer Schachzug, jeder Reisender, vom Bahnhof kommend, erblickt zuerst in der großen Textilstadt das Eingangsportal der Weberei Boeßneck & Meyer.
Auch die Bautechnik entspricht der Zeit. Ein Stahlbetonskelett bildet die Basis und erhält zur Fassadenbildung eine Ziegelausfachung. Das EG ist höher gesetzt, so dass die Eingangstreppe nur der Überbrückung dieses Höhenunterschiedes gilt. Die Haupttreppen ist auf der Hofseite im Stoßpunkt beider Gebäudeflügel angeordnet, weitere Treppen befinden sich jeweils an den Enden der Flügel auf der Otto-Schimmel-Straße und der Erich-Fraaß-Straße. Das Gebäude ist voll unterkellert.
Die Gebäudestruktur des Boeßneck-Meyer-Haus zeugt von der architektonischen Kreativität des Adolf Krebs. Das Gebäude ist dabei gezielt auf einer Sichtachse in Richtung Hauptbahnhof ausgerichtet.
Marketing und Prestige in den 1920er Jahren einer Industriestadt. Dazu wurde der Haupteingang auf die Gebäudeecke zwischen Otto-Schimmel-Straße und Scherbergplatz gelegt. Für den harmonischen
Übergang im Stil des Neobarock sorgt das Abrunden dieser Gebäudeecke und die gleichzeitige Betonung der Vertikalen durch den aufsteigenden Formgiebel. Die beiden Fassaden zum Scherbergplatz bzw.
Otto-Schimmel-Straße stehen damit in einen stumpfen Winkel zueinander und weisen selbige Stilistik auf, wie der Zwischenbau in Richtung Seifert-Haus. Das Sockelgeschoß ist schlicht verputzt. Auf
ihm mündet das zurückgesetzte 1. und 2. OG mit Lisenen als Strukturelement bis in die Traufe. Die Fensterachsen ziehen sich in entsprechenden Gauben bis in das Dach weiter. Eine Formengestaltung,
welche ihren architektonischen Höhepunkt eigentlich 10 Jahre zuvor bereits hatte, aber gerade in den repräsentativen Industriebauten der Textilindustrie in dieser Zeit noch weit verbreitet war.
Die Gebäudeecke als Hauptelement ist dabei um eine Stufe zur Fassadenkante zurück gesetzt, die drei Fensterachsen sind wiederum in das Gebäude eingesetzt. Der entstehende Überhang am Giebel wird
durch zwei Säulen abgefangen. Die entstehenden Fächer am Überhang sind durch Stuckornamente akzentuiert. Der Haupteingang geht über das halbe Kellergeschoß und Erdgeschoß, wobei sowohl Eingang,
als auch die beiden Fenster eine Einfassung mit Rundbogen haben, die Fenster mit ihrem Sturz allerdings auf halber Höhe abschließen. Hinter ihnen liegt das Entrée der Weberei. Das Oberlicht der Eingangstür, als auch die seitlichen Fenster sind in Buntglastechnik ausgeführt mit einer starken Zentrierung auf die Farbe grün.
Gerade bei Dunkelheit und innen liegenden Licht muss dieser Effekt eine Strahlkraft des Webereieingang den Scherbergplatz und das gegenüberliegenden Hotel gehabt haben. Der aufsteigende
Volutengiebel krönt wortwörtlich diesen Haupteingang. Er setzt an der Traufkante an und schließt über zwei Stockwerke in einem Rundbogen ab. Einzelne Voluten geben den weiteren Schmuck und ein
Rundfenster setzt den zentralen Mittelpunkt, unter diesem befand sich einst die leuchtende Namensschrift der Weberei. Diese Gesamtstilistik des Neobarock scheint im Baujahr 1927 etwas aus der
zeit gefallen, aber reiht sich dennoch sehr stark in die Außendarstellung der Textilindustrie in Glauchau jener Jahre ein. So sind architektonische Parallelen zur ehemaligen Weberei Ernst
Boeßneck an der Schlachthofstraße (inzwischen abgerissen) zu finden. Durch die kurze Entstehungszeit des gesamten Gebietes zwischen Innenstadt und Bahnhof kombinieren sich so die verschiedensten
Stilrichtungen des frühen 20. Jahrhunderts auf engsten Raum, die Weberei Boeßneck & Weberei bildet mit ihren Außendarstellung ein entscheidenden Mosaikstein in diesem Ensemble.