Welchen Wert hat Kunst, besonders, wenn sie in der Industrie eine Anwendung findet? Ist ihr Wert nur durch ihre Einzigartigkeit definierbar?
Es ist doch eher viel wichtiger, was sie darstellt, ihre handwerkliche Eigenständigkeit und die Zeit, in welcher sie entstanden ist. Jedes Kunstwerk ist es wert erhalten zu werden, so spiegelt es immer ein Stück Geschichte wieder, ob nun in einem Museum, an der Gebäudefassade oder im Speisesaal einer alten Fabrik.
Die westsächsiche Industriestadt Zwickau hat die Geschichte nicht nur durch den Automobilbau und den Steinkohlebergbau geprägt, auch die Textilindustrie, mitten im westsächsischen Textilrevier gelegen, hat die Stadtgeschichte entscheidend mit gestaltet. Bereits im Hochmittelalter zählten die Zwickauer Tuchweber zu den reichsten der Region, doch erst die Industrialisierung und das Emporwachsen der Fabriken haben die Stadt und ihre textilen Erzeugnisse über die Grenzen hinaus berühmt gemacht. So sei es die Baumwollspinnerei A.Schön AG, die Gardinenweberei Lieder & Fischer im Norden der Stadt, die Tüllweberei Hoffmann im Zentrum oder eben jene bekannte Trikotagefabrik Junghans & Rössel im Stadtteil Planitz. Die Textilindustrie hat maßgeblich zum großen Reichtum der Stadt, bis in das 20. Jahrhundert hinein, beigetragen.
Jene Trikotagefabrik Junghans & Rössel erlangt in der DDR-Ära einen großen internationalen Ruhm. Mit dem Jahr 1951 wird das private Unternehmen enteignet und in den "VEB Aktivist Zwickau" umgewandelt. Der "Aktivist" fertigt hochwertige Trikotagen für Frauen und Männer, welche zum größten Teil in den Export gehen. Die Anforderungen durch die erhöhte Nachfrage bringt das Werk in den 1970er Jahren an seine Kapazitätsgrenzen. Unter diesem Druck bekommt der "Aktivist" im Jahre 1976 eine Werkserweitung mit neuen Fertigungssälen, einem Hochlager, Sozialtrakt und einem neuen Speisesaal samt Großküche. Für den neuen Speisesaal des Werkes schafft der Zwickauer Künstler Edgar Klier ein überdimensionales Wandmosaik aus Keramik.
Nach der Privatisierung im Jahr 1990 übernimmt die Mikado Strickwaren GmbH die Fabrik und fertigt am Standort hochwertige Textilien für Unternehmen wie C&A und Tchibo. Um 2002 geht das Unternehmen in die Insolvenz und das Ende für die letzte Textilfabrik in Zwickau ist besiegelt. Im Jahr 2004 werden im alten "Aktivist" dann endgültig die letzten Maschinen abgeschalten.
Seit dem Ende der Produktion beginnt die Stadt Zwickau mit dem schrittweisen Abriss des großflächigen Areals. So verschwinden zuerst Produktionsgebäude oberhalb des Hauptgebäudes, im Jahr 2014 fällt das ehemalige Verwaltungsgebäude mit Uhrenturm sowie Anbau. Seit dem Herbst 2015 verfolgt nun die Stadt Zwickau um Oberbürgermeisterin Pia Findeiß die bestrebten Planungen zum Abriss der letzten Gebäudeteile des ehemaligen "VEB Aktivist". Zu dessen Bestand gehören der 1976 erbaute Erweiterungsbau mit Speisesaal und einige Nebengebäude. Die Stadt hat dabei die Erhaltung des einzigartigen Wandmosaik im ehemaligen Speisesaales des Werkes aufgeben. Ein wertvolles Stück städtischer und regionaler Kulturgeschichte soll damit den Abrissbaggern zum Opfer fallen. Von der großen Strickereitradition in Zwickau soll somit nichts erhalten bleiben, ausser einer grünen Wiese, welche auf 10 Jahre nicht bebaut werden darf. Im Umgang mit dem eigenen Geschichtsempfinden und den vererbten Kulturgütern ist dieses Vorgehen grob fahrlässig!
Wir, das Netzwerk Industrie.Kultur.Ost, fordern die Stadt Zwickau und Oberbürgermeisterin Pia Findeiß dazu auf, dass künstlerisch und industriehistorisch wertvolle Wandmosaik im Speisesaal des "VEB Aktivist Zwickau" zu erhalten.
Die Stadt Zwickau hat mehr Kunst zu bieten, als den expressionistischen Max Pechstein und damit ist es jedes bedeutsame Kunstwerk der Stadtgeschichte wert, der Nachwelt erhalten zu bleiben, auch wenn es nicht in der städtischen Kunstsammlung hängt. Edgar Klier war ein herausragender Künstler der Stadt, welcher mit seinen Werken besonders das Arbeitsleben der Industriestadt darstellte und uns damit ein Bild vom Alltag der Stadt gibt, als die Schlote noch rauchten. Dieses Erbe ist unsere Aufgabe an die Nachwelt weiterzugeben.
Das gefertigte Mosaik ist handwerklich von sehr hoher Güte und hat im Stadtgebiet eine Alleinstellungsposition inne. So zeigt es das Arbeitsleben der Trikottagearbeiter im mittleren Bildbereich sowie eine sinnbildliche Darstellung des sozialistischen Lebens im Lebenslauf von der Geburt, auf der linken Seite, der jugendlichen Liebe bis hin zum hohen Alter in Partnerschaft, auf der rechten Seite. Im Gesamtkontext spiegelt das Mosaik damit einen Lebensbaum wieder mit einer reichhaltigen Krone.
Nach unserer Ansicht ist dieses Kunstwerk ohne größere Probleme bergbar und damit eine Rettung möglich. Die Aussage der ausgehende Gefahr durch eine Einsturzgefahr des Gebäudes ist nach unserer Auffassung falsch. Das Gebäude des Speisesaals ist ausgeführt in einer Stahlbetonskelettkonstruktion mit vorgehängter Fassade und aufgesetzten Flachdach. Die Etagen sind in Säulenträgerbauweise im Rastermaß ausgeführt. Das Stahlskelett ist nach 12 Jahren Leerstand, dank einer noch aktiven Ummandlung und den daraus folgenden Errosionsschutz, in einem guten Zustand und eine Tragfähigkeit damit weiterhin gewährleistet. Die Stahlbetongeschossdecken sind gerade im bedeutsamen Gebäudeteil in einem sehr guten Zustand. Im Speisesaal zeigt sich der Verfall einzig durch herabhängende Gipsformteile der Rasterdecke. Eine Demontage des Kunstwerkes vor Abriss des Gebäudes ist mit dieser Grundlage im Rahmen der Erfüllbarkeit.
Es fehlt hier einzig am Willen der Stadt Zwickau, dieses Kunstwerk zu erhalten. So gibt es in der Stadt genügend Objekte, beispielsweise das heutige Arbeitsamt in der ehemaligen Baumwollspinnerei Schön, wo eine Nachnutzung des Mosaiks möglich ist. Unzählige Beispiele aus anderen Städten zeigen zudem auch, dass eine derartige Bergung technologisch möglich ist. Wichtig ist eine Rettung des Kunstwerkes. Über eine Restauration und Neuverwendung kann auch zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden. Das Team von Industrie.Kultur.Ost würde sich für eine derartige Bergung auch bereitstellen, um Personalkosten einzusparen.
Die Stadt Zwickau hat extrem bedeutsame Industriegeschichte aufzubieten, es ist nur wichtig, dass wir unserer Nachwelt die Zeugnisse dieser Ära, soweit noch vorhanden, in die Hände geben. Dies ist die Aufgabe unserer Generation. Zu viel ist davon auch schon in den vergangen Jahren durch einen wilden, teils illegalen Abriss, verloren gegangen. Industriegeschichte ist auch Kunstgeschichte und darf nicht durch die Ignoranz der Stadtpolitik, den Abrissbaggern zum Opfer fallen. Wie sehr beweinen wir den Verlust von Kulturgütern durch den Zweiten Weltkrieg und dem DDR-Abrisswahn, doch wir sind in der heutigen Zeit dabei, es kein Stück besser zu machen.
Das Team von Industrie.Kultur.Ost
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