Die Entwicklungen der Spinnmühlen ist kein Ergebnis eines historischen Urknalls oder einer berühmten kreativen Nacht eines verrückten Forschers. Viel mehr steckt dahinter ein Entwicklungsprozess
über mehrere Jahrzehnte und den verschiedensten kleinen Inovationsstufen, welche am Ende in ihrer Summe den ersten vollfunktionsfähigen Fabriktyp der Menschheit hervorgebracht haben.
Um die Anfänge des Fabrikwesens genauer sich zu betrachten, muss man in das Zeitalter vor der Industrialisierung zurück gehen. Dazu befinden wir uns um das Jahr 1760. Speziell in Sachsen sind zu
dieser zeit die Strukturen der Wirtschaftsbeziehungen bereits stark gefestigt. Durch den Wegfall des Erzbergbaues im Erzgebirge und einer starken Zuwanderung von häufig Glaubensflüchtlingen blüht
in Sachsen in die Heimarbeit und das Manufakturwaren auf. Zudem Besitzt das Fürstentum mit der Leipziger Messe einen der wichtigsten Handelsstandorte in Mitteleuropa. In der textilen Fertigung,
den späteren Ausgangspunkt der Industrialisierung, hat sich das soggenante Verlegersystem etabliert. Ein Verleger gibt die Waren bei Heimarbeitern mit ihrer Handmaschine, zum Beispiel ein
Webstuhl oder Wirkstuhl, in Auftrag. Dafür liefert er die Rohware. Ist die Ware fertigt nimmt er die Fertigware entgegen, entlohnt die Heimarbeiter und handelt mit der Fertigware auf regionalen
Messen und Märkten. Die Heimarbeiter sind dabei in ihrer Familie organisiert, wo sowohl Kinder, als auch Eltern und Großeltern an der Warenfertigung beteiligt sind. Finanzkräftige Verleger
entwickeln den nächsten Schritt und zentralisieren diese Produktion, indem sie in einem Gebäude mehrere Handmaschinen aufstellen, man spricht dabei von den Manufakturen. Interessant ist bereits
die regionale Verteilung einzelner Fertigungstechniken in der Textilherstellung in Sachsen. Beeinflusst von den Zunftordnungen, regionalen Förderungen und dem Wanderungsverhalten von Zuwanderern
bilden sich Hotspots mit bestimmten Handwerksgattung. So weißt die Region um Limbach und Oberfrohna bereits eine hohe Wirkhandwerksdichte auf und im östlichen Vogtland dominiert die Stickerei.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch in anderen Regionen in Europa beobachten, so zum Beispiel in Mittelengland, dem Elsaß, am Niederrhein und Norditalien.
Dieses textilverarbeitende Handwerk ist es auch, welches den Anreiz zu einer industriellen Fertigung von Waren liefert. 1733 entwickelt John Kay den Schnellschützen. Eine technische Innovation, welche die Leistungsfähigkeit eines Webers mit seinem Handwebstuhl verdoppelt. Folge ist ein höherer Warendurchsatz in der Weberei. Doch die Textilherstellung, im besondere die Spinnerei arbeitet zur selben Zeit sehr rückständig auf zeitaufwendigen Flügelspinnrädern einer Leistung von einer Spindel pro Spinnerin. Es kommt zu einem sogenannten "Garnhunger" und der hohen Nachfrage an Garnen, besonders den aufkommenden Baumwollgarnen. Diese Rohstoffknappheit bremst auch die Weberei aus und damit die Wirtschaftlichkeit des Handwerkes. So ist es der englische Staat, welcher das Problem erkennt und auch die wirtschaftlichen Vorzüge für sich ausnutzen möchte. Das Königreich vergibt eine Prämie für die erfolgreiche Entwicklung einer mechanischen Spinnmaschinen, welche eine vervielfachte Produktionsausbeute liefern kann. Als Folge machen sich gleich mehrere findige Maschinenbauer in England an die Entwicklung einer derartigen Maschine. Den ersten Schritt zur mechanischen Spinnerei macht der Weber James Hargreaves. Er entwickelt 1764 die Spinning Jenny. Sie ist die erste Maschine der Welt, auf welcher fehlerfrei mehrere Spindeln gleichzeitig betrieben werden konnten. Doch kann sie nur als Vorstufe betrachtet werden, da sie noch händig von einer Spinnerin angetrieben werden musste. Dennoch konnte auf diese Art eine Maschine den nötigen Rohstoff für einen Weber abdecken, der "Garnhunger" war kurzzeitig befriedigt. Obwohl sich die Spinning Jenny rasant verbreitete, war sie für einen automatischen Produktionsprozess noch nicht ausgereift. So lief ihre Entwicklung fort.
Der wichtigen Durchbruch auf dem Weg zur Industrialisierung gelingt dem englischen Perückenmacher Richard Arkwright im Jahre 1769. Er nimmt die Konstruktionsbasis der Spinning Jenny und setzt sie in ein neues Maschinengerüst. Entscheidend für diese neue Maschine ist ein mechanischer Antrieb. Arkwright experimentiert erst mit einem Göbelantrieb, Maultiere oder Pferde treiben eine Achse an, aber setzt dann doch auf das uralte Prinzip durch Wasserkraft mit einem Wasserrad als Energiegenerator. Diese Antriebsart gibt der neuen Maschine ihren Namen, die Waterframe. Erstmals kann gleich ein ganzer Maschinenstrang ohne Krafteinwirkung eines Spinners betrieben werden. Für die Bedienung reicht sogar ein einfacher Hilfsarbeiter. Zur Anwendung seiner neuen Technologie gründet er 1771 in Cromford in Derbyshare eine eigene Spinnerei, ausgerüstet mit Waterframemaschinen. Es ist die erste mechanische Baumwollspinnerei in der Welt. Diese Entwicklung verhilft Arkwright nicht nur zu großen Reichtum, sondern macht ihn auch zu einen der angesehensten Menschen von Großbritannien, was sich auch in seiner späteren Richterwürde wiederspiegelt. Doch die Waterframemaschine hat einen technologischen Nachteil, sie kann nur gröbere Garnsorten verarbeiten. Die finale Entwicklung gelingt dem Weber Samuel Crompton im Jahre 1775. Er kombiniert die technologischen Merkmale der Spinning Jenny und der Waterframe und entwickelt so die Spinning Mule. Die erste Maschine, welche vollwertig den Garnbedarf der Textilverarbeitung abdecken kann, denn im Gegensatz zur Waterframemaschine kann die Spinning Mule nun auch feine Garnarten verspinnen. Der Antrieb ist Konkurrent durch eine externe Kraftmaschine, in den meisten Fällen durch Wassermühlentechnologie. Durch diese Entwicklung ist die technologische Basis für die Industrialisierung gelegt und ab diesen Zeitpunkt auch nicht mehr aufzuhalten.
Vorwiegend in Mittelengland entstehen in der Folge mehrere größere und kleinere Spinnmühlen. Das Spinnhandwerk wird mehr und mehr durch mechanisierte Betriebe mit einer wesentlich höheren ... ersetzt. Um diese englischen Entwicklungen vor dem Rest der Welt zu schützen und gleichzeitig den wirtschaftlichen Vorsprung aufrechtzuerhalten versucht der englische Staat die neue Spinnmühlentechnologie zu schützen. Die Warenausfuhr von Maschinen, Konstruktionen und Zeichnungen wird verboten. Eine Zuwiderhandlung sogar zeitweise unter Todesstrafe gestellt. Dieses Ausfuhrverbot verhilft England innerhalb der folgenden 10 Jahre zu einem enormen Vorsprung und damit zur Vorreiterrolle der weltweiten Industrialisierung. Doch andere Regionen in Europa, welche wirtschaftlich bereits ein gewisses Niveau besaßen waren auch an diesen neuartigen Produktionsmitteln aus England interessiert. So wird das Konigreich im späten 18. Jahrhundert zu einem beliebten Ziel für unzählige Gelehrte aus der ganzen Welt. Einer der bekanntesten Deutschen ist der preußische Baumeister Karl Friedrich Schinkel, welcher auf einer Studienreise ... die neue englische Industrie analysierte und wertvolle Skizze mitbrachte.