Blick vom Martin-Hoop-Schacht VIII. zum Martin-Hoop-Schacht IV und IVa mit Kohlenwäsche oberhalb von Zwickau.
Blick vom Martin-Hoop-Schacht VIII. zum Martin-Hoop-Schacht IV und IVa mit Kohlenwäsche oberhalb von Zwickau.

 Im Spätsommer 2018 verschwand dem Hügel über der Stadt Zwickau ein Gebäude, welches im Volksmund nur als "Nachtl" bekannt war. Sicherlich war jenes Gebäude in seinen letzten nicht mehr eine Schönheit der Architektur, aber es hatte in seinem Inneren dann doch eine sehr eigene Welt. Das sogenannte "Nachtl" war einst das Nachtsanatorium der VEB Steinkohlenbergwerk Martin Hoop. Das Zwickauer Steinkohlenrevier gehört zu den wichtigsten Kohlevorkommen von Ostdeutschland. Während das Steinkohleflöz an der Stadtsüdgrenze bis an die Oberfläche reicht, wird es im Osten der Stadt auf dem Brückenberg bis zu 1000 Meter tief erschlossen. Nach dem 2. Weltkrieg entsteht zwischen Zwickau und der Gemeinde Mülsen auf dem Bergkamm das neue Steinkohlenwerk Martin Hoop IV, vormals Morgenstern-Gewerkschaft. Die junge DDR ist für den Wiederaufbau der Wirtschaft auf das Schwarze Gold aus Zwickau und Oelsnitz angewiesen und so wird der Steinkohlenbergbau zu einem Prestigeprojekt der Berliner Regierung. Ein Wandel, welcher auch dringend nötig war. Viele Schachtanlagen fahren noch auf veralteter Technik, die soziale Grundversorgung der Bergmänner ist oftmals unzureichend. So investiert die DDR neben den Ausbau und der Neuerrichtung neuer Schächte vorallem in die soziale Struktur der Bergmänner. So wandeln die Bergbaustädte gerade in Sachsen ihr Gesicht. Im Stile der Zeit entstehenden neue Wohnquartiere für hunderte Wohnungen, neue Krankenhäuser, Kindergärten und Kulturhäuser. Die Ausbildung wird maßgebend verbessert und die Technik schrittweise für eine höhere Planerfüllung überholt und auf internationalen Stand gebracht. Besonders in den drei Kohlerevieren von Sachsen in Freital, Zwickau und Oelsnitz-Lugau ist die Modernisierung zu spüren.

Umkleide vor dem Sanatoriumsbad (2018)
Umkleide vor dem Sanatoriumsbad (2018)

In Zwickau wird das Revier über die Stadtgrenzen hinaus ausgebaut. Begann der Steinkohlenbergbau hier einst im Bockwaer Gebiet an der Mulde, wo ein Flöz bis an die Oberfläche stößt, so konzentriert sich der Abbau ab 1945 auf das östiche Stadtgebiet in Richtung Mülsen. Altbergwerke werden verfüllt und mit den beiden neuen Werken Karl-Marx, ehemals Brückenbergschächte, sowie Martin-Hoop, ehemals Morgenstern-Gewerkschaft, zwei Hauptförderanlagen aufgebaut. Im Prozess des Ausbau steht die Umwandlung des ehemaligen Morgenstern-Schacht IV im Jahr 1947 zum Martin-Hoop-Schacht IV unter Architekt Paul Becker als moderne Förderschachtanlage. In den 1960er Jahren folgt der erste Betongleitschalenförderturm der DDR als Martin-Hoop-Schacht IVa und weitere neue Schachtanlagen am Rande Mülsengrundes, hervorgehoben durch den Martin-Hoop-Schacht IX. Das Martin-Hoop-Werk entwickelt sich mit seinem Grubenfeld zum leistungsstärksten Steinkohlenbergwerk im Zwickauer Revier. Zum Ausbau der sozialen Grundversorgung der Bergmänner zählt die Einrichtung eines Nachtsanatoriums zur kurzzeitigen Genesung. Hierzu wird die Bergarbeitererholungsstätte aus den 1930er Jahren in Pöhlau bei Zwickau erweitert. 1954 erhält das Bauwerk einen neuen Bettenflügel sowie moderne Behandlungsbäder und Sportanlagen. 125 Bergmänner konnten sich hier nach Fertigstellung für wenige Tage von ihrer harten und lebensgefährlichen Arbeit untertage erholen. Kernpunkte des Aufhaltes waren Kneipkuren, gesunde Ernährung und Physiotherapie. Die Verpflegungspauschal lag bei einer Mark pro Tag. In den 1970er Jahren wird das Gebäude an seinem Kopfbau durch ein eigenes Schwimmbad sowie weitere Kneipbäder erweitert. Es sollte der letzte große Umbau sein. Parallel wird der Steinkohlenbergbau im Zwickauer Revier zum Jahr 1978 vollkommen eingestellt und die ehemaligen Liegenschaften der Kohlenwerke, darunter zählen auch die Sozialeinrichtungen, einer neuen Bestimmung zugeführt. Das Nachtsanatorium wird 1982 in das Bezirkskrankenhaus "Heinrich Braun" Zwickau integriert und als Aussenstelle genutzt.
Mit dem Jahr 1990 löst das Heinrich-Braun-Krankenhaus seine verstreut liegenden Stellen auf und zentralisiert sich auf den Standort in Zwickau-Marienthal. Das ehemalige Nachtsanatorium wird 1992 leer gezogen und einem unbestimmten Schicksal überlassen. Ein Nachnutzungkonzept scheidert und so wird das Gebäude oftmals ein Opfer von Vandalen. Große Teile der Inneneinrichtung wurden zerstört oder geplündet und so zeigt es sich 2018 in einem schlimmen Zustand. Doch trotz 25 Jahre Leerstand lassen sich noch Teile der ehemaligen Inneneinrichtung der 1950er Jahre auffinden und die historischen Bilder am Wirkungsort refotografieren. Es sollte der letzte Besuch im alten Nachtsanatorium sein, das Gebäude verabschiedet sich, als ein Sonnenstrahl durch eine Lüftungsöffnung in das alte Kneipbad strahlt und die geflieste Wanne zum Strahlen bringt in einem tief dunklen Raum. Im Sommer 2018 beginnt die Stadt Zwickau den Abriss des Nachtsanatorium in Pöhlau. Für die Beseitigung dieses besonderes Stückes Industriekultur sind 40.000€ veranschlagt, innerhalb von wenigen Tagen verschwindet das Bauwerk komplett. Es ist das Ende eines Kapitels und ein weiteres Stück weniger einer einst ruhmreichen Steinkohlentradition in Westsachsen.

Abendsalon

"Die Bergarbeiter fühlen sich im Nachtsanatorium wie zu Hause"


Sanatoriumsbibliothek

"Ein gutes allgemeinbildendes oder unterhaltendes Buch, Zeitungslektüre, [...] ermöglichen eine erfolgreiche Kur."


Kneipbäder im 1.OG

"Wasser und Ernährung treten im Nachtsanatorium medizinisch vorbeugend und behandelnd in den Vordergrund. [...] Schwester Martha ist dabei ein treuer Helfen."


Speisesaal im 2.OG

"Gleich kommen die Bergarbeiter von der Schicht! [...] Über 13.200 Patienten konnten sich bisher von der vorzüglichen Küche des Nachtsanatoriums überzeugen."


Ein Spaziergang durch das Nachtsanatorium im Sommer 2018

Der leise Abschied - Sommer 2018


Quellen:
Historische Bilder: "Kampf der Väter - Sieg der Söhne", Zwickau, 1968

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